…wie Milch und Honig

Die Osternachtsfeier in der „Traditio Apostolica“ des Hippolyt und der dritte Kelch

Die älteste, uns überlieferte Form der Osternachtsfeier findet sich in der sogenannten „Traditio Apostolica“, der „Apostolischen Überlieferung“ des Heiligen Hippolyt an der Schwelle vom zweiten zum dritten Jahrhundert. An die Taufe der Katechumenen in der Osternacht schließt sich gemäß dieses liturgischen Formulars die Eucharistiefeier an. Hippolyt nennt dort zu unserer Überraschung drei Kelche, die den Neugetauften dargereicht werden: ein Kelch mit Wasser, ein Kelch mit Wein und ein Kelch mit Milch und Honig. Wasser und Wein sind uns vertraut, auch wenn wir heute nur den einen Kelch kennen, in dem dem Wein etwas Wasser beigemischt wird. Aber erstaunlich ist der dritte Kelch mit dem Gemisch von Milch und Honig.

 

Ansprechende und sinnenfällige Zeichen

Der Kelch mit Milch und Honig spricht uns als Zeichen unmittelbar an, weil wir mit Milch und Honig zutiefst Positives verbinden, wie beispielsweise die Erinnerung an ein wohltuendes Glas warmer Milch, in das die Mutter Honig tröpfelte, um unseren Halsschmerzen abzuhelfen. Milch und Honig gelten als wohlschmeckend, wohltuend und natürlich. Beim Besuch eines Drogeriemarktes kann man sich bis heute von der suggestiven Kraft der Kombination von Milch und Honig überzeugen, die als Ingredienzien in Flüssigseifen und Cremebädern angeboten werden.

Die Verheißung des gelobten Landes am brennenden Dornbusch

Milch und Honig in der Osternacht? Dem Kenner der jüdischen Geschichte kommt das nicht fremd vor. Die frühen Christen nahmen mit diesen beiden Gaben die Verheißung des gelobten Landes auf, wie sie Mose am brennenden Dornbusch zuteilwurde. Der Herr sagt angesichts des Elends des Volkes in Ägypten bei der Berufung des Mose:

Ich bin herabgestiegen, um die Israeliten der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen“ (Ex 3,8).

Da ist sie also, die Verheißung des gelobten Landes, des Landes von Milch und Honig, die dann wie ein Refrain immer wieder durch die Heilige Schrift klingt und beschworen wird als das Ziel der Träume von Freiheit und Erlösung.

Auf den Geschmack kommen am gelobten Land

Wenn also den Neugetauften der Kelch voll Milch und Honig gereicht wird, dann wird ihnen mit diesem Zeichen gesagt: Ihr seid bereits im gelobten Land angekommen. Kraft eurer Taufe habt ihr den Sehnsuchtsort der Lebensfülle erreicht – herzlichen Glückwunsch! Milch und Honig, die müsst ihr in dieser Nacht der Nächte verkosten. Man muss förmlich auf den Geschmack des neuen Lebens kommen, man muss „kosten und sehen, wie gut der Herr ist“ (Ps 34,9) , damit man nie vergisst, dass man ein neuer Mensch in der Taufe wurde.

Auch wenn der Brauch – leider – verschwunden ist, die Osterliturgie hält zum Glück noch die Erinnerung daran wach, wenn die Kirche am Ostermontag den Eingangsvers aus dem Buch Exodus (Ex 13,5) singt: Der Herr hat euch in das Land geführt, wo Milch und Honig strömen.


Symbolik von Milch und Honig

Wofür aber stehen Milch und Honig und wie wurden sie zum Sinnbild für das gelobte Land?

Milch steht für Fruchtbarkeit, denn Milch gibt es in der Natur immer dar, wo neues Leben geboren wird. Wenn in dem Land Milch in Strömen fließt, heißt das, dass hier Viehherden ihr Auskommen finden und der Mensch ohne Sorge Landwirtschaft wird treiben können.

Der Honig steht für die blühenden Landschaften. Hier muss es in ausreichender Zahl Fruchtbäume und blühende Gewächse geben, in denen die Bienen den Nektar gewinnen, um Honig in Überfülle zu produzieren.

Milch steht darüber hinaus aber auch für das Grundnahrungsmittel, das jedes heranwachsende Säugetier und jeder Säugling benötigt. Honig hingegen,  – das einzige natürliche Süßungsmittel über Jahrtausende vor dem künstlichen Zucker! -, steht für hohe Lebensqualität. Hier gibt es nicht nur die Grundnahrungsmittel, die das Überleben sichern. Nein, hier gibt es noch viel mehr, was auch ein gutes und angenehmes Leben in Fülle ermöglicht und einem das Leben förmlich „versüßt“.

Terror: Auferstehung und das gelobte Land?

So schön und unmittelbar eingängig dieses Bild ist von Milch und Honig, so stellt sich doch die Frage: Wie ist das eigentlich mit Ostern? Sind wir wirklich bereits angekommen in dem Land, wo Milch und Honig fließen? Sind die Neugetauften in einer heilen Welt zuhause, wo niemand mehr sich sorgen machen muss, weil paradiesische Zustände herrschen? Die Nachrichten der letzten Tage und Wochen belehren uns da eines besseren. Das Paradies scheint in weite Ferne zu rücken. Die Terroranschläge wollen verunsichern und zeigen: niemand kann sich bei euch sicher fühlen. Wir kriegen euch und ihr könnt euch nicht wehren. Wir tragen den Terror in eure Häuser und Städte. Und jetzt die bangen und aufgeregten Fragen: Wie kann man sich schützen, was soll man tun? Die Unsicherheit bleibt und auch die Angst. Ein Land, wo Milch und Honig fließen?

Flüchtlinge in Großbritannien: Ihr seid nicht im Land wo Milch und Honig fließen!

Und dann noch die Richtigstelllung jüngst aus dem britischen Außenministerium, bei der der zuständige Staatssekretär wortwörtlich dazu aufforderte, den Flüchtlingen endlich einmal klar zu machen, dass Großbritannien sicher nicht das Land sei, wo Milch und Honig flössen, um durch diese Klarstellung die geradezu biblisch anmutenden Flüchtlingsströme einzudämmen. Wenn es ums Teilen geht und darum, sich angesichts fremder Not in Solidarität zu üben, ist es mit dem Land, wo Milch und Honig fließen ganz schnell vorbei.

Der süße und der bittere Kelch

Milch und Honig – doch nur etwas für die fromme Liturgie im geschützten Raum der Kirche? Wer von dem süßen Kelch der Osternacht spricht, der muss auch vom bitteren Kelch der Passion des Herrn sprechen. Sonst wird man den süßen Kelch und seine Botschaft missverstehen. Den Geschmack am gelobten Land kann nur der verkosten, der weiß, dass die Bitterkeit des Lebens auch Teil unserer Lebenswirklichkeit ist. Jesus ringt in der Ölbergnacht mit Gott, wenn er bittet, ob es möglich sei, dass der Kelch des Leidens an ihm vorübergeht. Und erst als das Unabwendbare vor ihm steht, schickt er sich in sein Los. Am Kreuz wird er in einer erschütternden Szene rufen: Mich dürstet! Und man wird ihm zum Spott einen Schwamm hinhalten, der in Essig getränkt ist (Joh 19,28-29).

Man kann vom süßen Kelch nicht trinken, wenn man nicht um die Bitterkeit dieser Welt weiß. Tod und Auferstehung, Land der Verbannung und Land der Verheißung, sie sind in dieser Weltzeit nicht voneinander zu trennen und weh dem, der sich in seine heile Welt flüchtet, ohne das andere zur Kenntnis zu nehmen. Der macht Ostern zur Karikatur bringt es um seinen tiefen Ernst und seine Kraft.

Hoffnungszeichen der neuen Wirklichkeit

Das ist kein Argument gegen den süßen Kelch der Osternacht. Im Gegenteil. Das macht ihn umso notwendiger. Denn nur derjenige, der schon im gelobten Land steht, hat auch die Kraft, sich gegen die Gleichgültigkeit dieser Welt für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen, die Gott uns an Ostern schenkt. Nur wer um die Wirklichkeit der Erlösung an Ostern weiß, kann angesichts von Hasspredigern und Terroristen die Versöhnung verkünden, die Gott uns am Kreuz anbietet, weil er bereits von den endzeitlichen Heilsgaben gekostet hat. Nur der, der Milch und Honig getrunken hat, wird dem Bittenden nicht allein das Lebensnotwendige geben, sondern dazu auch noch ein Lächeln und ein gutes Wort, das oft mehr tröstet und satt macht als jede noch so gut gemeinte Gabe.

Vorwegnahme des Heils

„Sooft ihr dieses Brot esst und diesen Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt“ (1Kor 11,26), sagt Paulus im ersten Korintherbrief über die Feier der Eucharistie. Und sooft ihr den Kelch mit Milch und Honig trinkt, so hätten wohl die ersten Christen ergänzt, sooft wisst ihr, dass der Herr schon mitten unter euch ist, der Anführer zum Leben und der Garant künftiger Herrlichkeit! Bitten wir ihn, dass er uns in diesem Jahr der Barmherzigkeit immer wieder neu diesen Vorgeschmack von Milch und Honig schenke, den wir so dringend benötigen, bis die ganze Welt im Licht dieser Nacht neu erstrahlt und alle das gelobte Land erreichen, das wir schon betreten dürfen. Amen. Halleluja.

 

Dr. Franz Jung, Generalvkar Bistum Speye

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